Jaimy Reisinger: Süße Sensationen aus der Steiermark
Nikolaus Prokop

Desserts als aufwendige kleine Kunstwerke oder gar als komplettes mehrgängiges Menü? Ein Trend, den man vor allem aus außergewöhnlichen Trendsetter-Lokalen wie dem Coda in Berlin kennt. Doch das 23-jährige Ausnahmetalent Jaimy Reisinger, soeben von "Rolling Pin" zur Patissière des Jahres 2023 gekürt, hat den neuen Dessert-Trend nun auch nach Graz gebracht – und für die Zukunft noch Großes vor.

Eigentlich wollte Jaimy Reisinger ja ursprünglich Grafikerin werden und hatte schon eine Ausbildung dazu an der Ortweinschule in Graz gestartet. Doch dann siegte eine noch größere und ältere Leidenschaft über ihre ursprünglichen Karrierepläne: „Schon als kleines Kind habe ich es geliebt, mit meiner Mutter in der Küche zu stehen und Cookies zu backen – deshalb habe ich dann kurz entschlossen umgesattelt und eine Konditorlehre gestartet, denn in der Gastronomie fühle ich mich mit meiner Kreativität am allermeisten zu Hause.“ 

Doch mit einer Konditorausbildung im zweiten Bildungsweg alleine war es nicht getan. Zusätzlich absolvierte die ambitionierte 23-jährige Gleisdorferin auch einen Lehrgang an der Londoner Kulinarik-Eliteschule „Le Cordon Bleu“, um sich das nötige Rüstzeug für den Aufstieg in die internationale Spitzenklasse der Patissiers zu holen. Denn eines ihrer großen Vorbilder ist der holländische Patisserie-Weltmeister Frank Hasnoot, der insbesondere aus Schokolade wahre Meisterwerke der Patisseriekunst kreiert und als einer der bekanntesten „Pastry Chefs“ der Welt bereits vor über zwanzig Jahren eine internatiole Karriere rund um den Globus startete – mit Stationen an gastronomischen Spitzendressen, wie z.B. La Tulipe Desserts in NewYork, The Victorian in Kuwait oder dem Mandarin Oriental in Taiwan.

Siegerin 2019 beim Falstaff Young Talents Cup

Den Traum von der großen Patisseriekarriere hat Jaimy allerdings bereits in vieler Hinsicht wahr gemacht: Schon 2019 sorgte sie erstmals für großes Aufsehen, als sie mit nur neunzehn Jahren den „Falstaff Young Talents Cup“ in der Kategorie Patisserie für sich entscheiden konnte – mit einem aufwendigen und auch optisch überaus beeindruckenden Rezept, bei dem sie geröstete Milch-Panna Cotta und Ahornsirup-Eis mit Milchpulver-Crumble, Crémeux und Gelee aus Holunder sowie Gel und Mousse aus Himbeeren kombinierte und mit rotem Schokolade-Kakaobutter-Samtspray, knusprigen Butterhippen und einem gerösteten Milchchip krönte. Und schon seit einiger Zeit sorgt sie im Grazer Gourmettempel Artis von Philipp Dyczek für außergewöhnliche Überraschungen: So servierte das erst vor Kurzem mit der dritten Haube prämierte und in die renommierte Vereinigung „Jeunes Restaurateurs“ aufgenommene Restaurant neben seinen vier- bis achtgängigen Überraschungsmenüs im vergangenen Jahr im Rahmen eines mutigen Pop-up-Programms auch reine Dessertmenüs mit bis zu fünf Gängen.

Damit erlebte die Grazer Gourmetszene erstmals ein ähnliches Konzept, wie es z. B. auch der deutsche Spitzenpatissier René Frank in Deutschlands einzigem Dessertrestaurant Coda in Berlin schon seit einigen Jahren mit großem Erfolg betreibt – und durfte bei dieser Gelegenheit auch einige besonders köstliche kulinarische Rätsel lösen. Denn Jaimy, die auch im Coda schon einige wertvolle Erfahrungen sammeln konnte, servierte beispielsweise Gerichte, die als „Grüner Salat mit Kernöl“ deklariert waren und auf den ersten Blick für einige Verwunderung sorgten – ehe sie sich dann bei genauerem Hinsehen und speziell beim Verkosten tatsächlich als außergewöhnliches Dessert entpuppten, kreiert aus kandiertem getrocknetem Eisbergsalat mit Vanilleeis und Kernöl-Espuma. Das besondere Geheimnis dabei: Jaimy liebt ihre kreative Freiheit und arbeitet äußerst intuitiv und kaum nach Rezepten – „womit ich konventionelle Patissiers der klassischen Schule wahrscheinlich in die Verzweiflung treibe“, wie sie über ihre sehr individuelle persönliche Philosophie lacht.

Dessert-Kreationen auch ohne weißem Zucker

Bei so viel Talent, Ideenreichtum und Experimentierfreude ließ die nächsteAuszeichnung natürlich nicht lange auf sich warten: Erst im Mai wurde Jaimy bei der großen „Rolling Pin.Convention“ des renommierten österreichischenFachmagazins in Graz zur Patissière des Jahres 2023 gekürt, und auch diesen Sommer gab es im Artis in der Grazer Schmiedgasse wieder jeden Mittwoch und Donnerstag ihre mehrgängigen Dessertmenüs. Gemeinsam mit Österreichs jüngstem Chef-Patissier Benjamin Schröder, der selbst vor drei Jahren die Auszeichnung als Patissier des Jahres erhielt und nun im neuen RestaurantKelsen im Wiener Parlament für kulinarische Highlights sorgt, kreierte sie übrigens ein einzigartiges Dessertmenü, das ganz ohne raffinierten weißen Zucker auskommen soll.

Denn neben technischen Kücheninnovationen, die sie schon während ihrer Zeitam Londoner Cordon Bleu faszinierten, sind ihr auch aktuelle Ernährungstrends einbesonderes Anliegen, ebenso wie spannende Zukunftsfragen: Wie kann man beispielsweise in der modernen Patisserie auf klassische tierische Zutaten wie Milch verzichten oder auch auf Ei? Themen, die sie mit Sicherheit in den kommendenJahren noch weit hinaus in die Welt und zu so manch spannenden Erfahrungen treiben werden – und vielleicht auch zur Erfüllung eines schon lange gehegten Wunschtraums: eine Teilnahme an den „World Chocolate Masters“, der weltweiten Spitzencompetition der internationalen Patisserieszene, in der sich die Besten der Besten alljährlich in Paris der wohl spannendsten internationalen Challenge der Branche stellen.

Bei den Besten der Besten hat auch Artis-Küchenchef und Inhaber Philipp Dyczek gelernt, ehe er mit dem Artis schließlich den Sprung in die Selbständigkeit wagte: Nach zahlreichen hochkarätigen Stationen wie dem Grazer Lindenwirt, der Alpenrose in Kühtai oder mehreren Grazer Gourmetrestaurants wie dem Starcke Haus oder dem Dreizehn am Grazer Franziskanerplatz übersiedelte er 2016 nach London und verdiente sich bei Michelin-Sternekoch Tom Aikens in seiner Brasserie Tom’s Kitchen seine internationalen Sporen. Nach einem ausgiebigen Ausflug nach Vietnam kehrte er 2018 wieder nach Graz zurück, und holte sich dort im Traditionswirtshaus Laufke beim Grazer Stadtpark gleich mal seine erste Gault & Millau Haube.

Eine Kombination aus Kunst und Speise.

Dabei sollte es freilich nicht bleiben, denn schon 2020 wurde sein Artis bald nach dem Start mit Haube Nummer zwei gekrönt, auf die nach kurzer Zeit auch die dritte folgte: „Die dritte Haube spätestens mit dreißig war immer schon mein Ziel“, lacht er über den großen Erfolg an einem ursprünglich recht herausfordernden Standort, denn an der Adresse des Artis war zuvor ein Restaurant beheimatet, das unter den Grazer Gourmets nicht unbedingt den allerbesten Ruf genoss. Doch das hat Philipp längst mit seinem Team kräftig ins Gegenteil umgekrempelt und das Artis zu einer der führenden kulinarischen Erlebnisadressen der Stadt hochgekocht, zu der Gäste auch sehr gerne von weit her anreisen, wie neben den drei Gault&Millau-Hauben mittlerweile auch stattliche drei Falstaff-Gabeln und nicht weniger als neunzig Bewertungs-Punkte unterstreichen. Gourmetkritiker loben einhellig die große Detailverliebtheit seiner Überraschungsmenüs in vier, sechs oder acht Gängen, in denen immer wieder auch kreative Einflüsse seiner großen Asienreise aufblitzen – und als zusätzliches Highlight wird es natürlich auch im Herbst weiterhin Jaimy Reisingers einzigartige Dessert-Menüs geben.

Jedes Dessert ein köstliches Kunstwerk.

Restaurant Artis
Schmiedgasse 18-20
8010 Graz

Fotocredits: Bastian Knapp, creativ0photos, Unsplash

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